Die Notwendigkeit der Freiheit

Flickr: Mario Klingemann

Seit rund 100 Jahren zeichnet sich das moderne Denken durch ein wachsendes Bewusstsein der Wirkung unpersönlicher Kräfte auf unser Zusammenleben aus. Wir meinen, es seien weniger wir selbst als die „Systeme“, die uns umgeben, die bestimmen, wie wir die Welt sehen. Der Soziologe Niklas Luhmann hat zu erklären versucht, wie sie sich vom Menschen ablösen und verselbständigen können. Ihr Eigenleben kann überaus widerstandsfähig gegenüber, zum Beispiel, politischem Willen sein.

Langsam wurde die Überzeugung, dass wir von Systemen wie Bürokratie, Weltbildern oder Sprache dominiert werden, auf immer persönlichere Räume übertragen. Heute halten wir Freiheit für unmöglich, erleben uns fremdbestimmt und trauen uns gegenseitiges Verständnis kaum noch zu. Anstelle einander wahrzunehmen, sähen wir nur uns selbst und unsere Stereotypen, meinen viele Forscher.

Diese Interpretation liegt nahe, wenn wir von den Ergebnissen unseres Handelns aus rückwärts blicken und quasi von außen zu erklären versuchen, wie wir zu ihnen kamen. Dann fügt sich an jedes Ergebnis eine eindeutige Ursache. Doch diese Wahrnehmung unterscheidet sich von jener des Moments, in dem wir eine Handlung als unsere empfinden, indem wir sie vollziehen.

Jene Perspektive ist sozial gefährlich, denn ihr fehlt der Enthusiasmus für die Gestaltbarkeit der Welt durch uns. Deshalb wollte Rudolf Steiner gerade im Angesicht weltweiter Unfreiheit auf die Freiheit nicht verzichten: weil sie von unserer Fähigkeit zu geistiger Selbstentwicklung kündet. Mit ihr beschäftigen wir uns als Gesellschaft allerdings selten. Es gibt kaum Einrichtungen, welche sie gezielt fördern. Das mag auch daran liegen, dass unsere gesellschaftlichen (und wirtschaftlichen) Systeme auf unseres berechenbaren Verhaltens geradezu bedürfen.

Wir sollten das ändern, sowohl im Hinblick auf unsere Perspektive auf das, was Gesellschaft eigentlich ausmacht, und die Institutionen, die wir schaffen.


Diese Kolumne über Gesellschaft erscheint monatlich als Teil des Newsletters der Sektion für Sozialwissenschaften, den ich als Redakteur verantworte. Der Newsletter zu den gesellschaftskritischen Ideen Rudolf Steiners kann hier gelesen und abonniert werden.

Foto: Flickr (Mario Klingemann)

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